1. Weltkrieg

 

Aus "Tiere im Krieg"

 

'Treue Pferde-Kameradschaft'

 

 

von Eberhard Schrammen

 

 

Als es vorbei war und alle sich über den kleinen Vorfall wieder abgeregt hatten, da packte jeder seine besondere Weisheit aus.

"So einen verrückt gewordenen Gaul hätte er kariolen lassen sollen, bis ihm die Luft ausging", meint Reinhard, seines friedlichen Zeichens ein Schuster.

"Das sagst du ja nur, weil du vor einem durchgehenden Pferd Angst hast. Du tätest sicher gut daran, die Finger davon zu lassen. Schuster bleib bei deinen Leisten."

Das das sagte, ist Rogge, ein junger Landwirt, der zu Hause selbst Kühe und Pferde im Stall hat. Kein Wunder, dass er mehr "Pferdeverstand" besitzt. Schliesslich ging ja auch unsere Kompagniedroschke an dem Pferd, und dass die es ausgehalten hat, wundert den langen Stellmachergesellen Ahorn am meisten....

Das ganze Ereignis war übrigens folgendes:
Die Feldküche unserer Kompagnie war stolz auf ihr schmuckes Gespann von zwei Schimmeln, die noch aus der Heimat mitgekommen waren. Die beiden Tiere kannten sich also schon lange, verstanden sich auch gut miteinander und hatten offenbar eine echte Tierkameradschaft geschlossen. Das ist übrigens nichts Seltenes. Nun wurde eines Tages Max, der eine Schimmel, abkommandiert. Mit einem leichten einheimischen Kutschwagen brachte er einige Urlauber und ihr Gepäck bis zur Bahnlinie.

Wer schon den Urlaub in den Knochen spürt, tippelt besonders nicht gerne die sonnigen und staubigen Sandwege in den östlichen Provinzen. Den glücklichen war diese Extravergünstigung auch zu gönnen. Waren sie doch in den letzten Wochen manchen Kilometer hinter den zurückweichenden Russkis marschiert, kreuz und quer und hin und her und an vielen Tagesmärschen noch ein langes Ende in die tiefe Nacht hinein angehängt.

 

 

Feldküche Argonnerwald

 

Anders dachte aber offenbar Max, der unzertrennliche Freund seines Gespannkameraden von der Gulaschkanone. Die Fahrt hinwärts zur Bahn hatte er sich schon sehr wenig zuvorkommend bewiesen gegen seinen Lenker, obschon der es nicht schlecht mit ihm meinte. Mit gutem Zureden und auch mit andere Nachhilfe war man noch zur Zeit angekommen.
Auf der Rückfahrt war es umgekehrt. Da war Max, der wohl den gleichen Weg wiedererkannte, kaum zu halten, so drängte er nach Hause. Und gar nicht weit von unserem Waldlager, vielleicht einen Kilometer von seinem Standquartier entfernt, da muss unser Schimmel wohl völlig Lunte gerochen haben. Trennungsschmerz und geahnte Wiedersehensfreude überwältigten wohl alle Disziplin des sonst so pflichtgetreuen Soldatenpferdes.

Dass sich sein Fahrherr nur für einen Moment vom leeren Wagen entfernte, um noch ein paar gar zu verlockende Äpfel vom Baum zu holen, der vergeblich auf die Ernte wartete, das war für Max die blitzschnell erkannte Gelegenheit, nach vorne auszureissen.

Gings anfangs noch fast zaghaft und geräuschlos durch die Sandgleise des Feldwegs, der hier in der Nähe des Lagers schon zur Breite einer Grossstadtpromenade ausgelatscht war, so wurden Max diese Umwege bald zu lang. Der gerade Weg, die "Luftlinie" könnte man sagen, wurde eingeschlagen, mit sicherem Instinkt unsere Waldecke angepeilt.
Dass sich auf dieser gewählten Route alle möglichen Hindernisse befanden, die einem geordneten Fahrdienst abträglich waren, das konnte Max nicht von seinem immer eiligeren, immer drängenderen Verlangen nach der Heimat abbringen. Graben, Sümpfe und Untiefen wurden ebenso schneidig genommen, wie kleine Kiefernbestände und Dornhecken. Und so kam der Ausreisser - d.h. er fühlte es wohl mehr als treue Pflichterfüllung, dass er zu seinem "Posten" eilte -, so kam der Schimmel, sein Schaukelwägelchen hinter sich her, in voller Fahrt am stillen Nachmittag an einem kleinen Weiher oder Tümpel direkt vorbeigeprescht, wo einige Leute seiner Kompagnie gerade mit Waschen und anderen notwendigen Verrichtungen der Front-Zurückgezogenheit voll beschäftigt waren.
Die wenigstens hatten Zeit, den Spuk zu erkennen, der so aus heiterem Himmel hinter ihrem Rücken vorbeiprasselte. Wer aber wirklich den Versuch machte, ihn aufzuhalten, kam zu spät, dafür sorgte Max, der ein heilloses Tempo vorlegte und nun sein Nahen, sein beabsichtigtes Landen noch durch ein schmetterndes Wiehern der Freude kundgab. Ob sein Freund ihm antwortete: "alles klar zur Einfahrt", das ist nicht überliefert worden.

Aber dann ging durch ein Wunder offenbar noch alles glatt ab.
Da stand ja unter ihrem schützenden Bretterdach, mit Reisig verbrämt, in voller Fliegerdeckung die "dicke Berta" und liess sich ihren metallisch glänzenden Leib mit neuer Bohnen-Munition und Wasser für das Abendgefecht der Kompagnie auffüllen. Dicht dabei stand auch der Gespannkamerad Willi, der so sehr Vermisste.
Mit freudigem Wiehern begrüsste auch er jetzt den schon erkannten, herandonnernden Freund, und dieser, antwortend, in Schweiss gebadet, war klug genug, abzustoppen und nicht gerade unseren Suppenkessel mit der Deischsel aufzuspiessen.

"Das ist gar kein Wunder mit dem Pferd", meinte Rogge, der junge Landwirt. "Besonders die Schimmel, die schliessen enge Freundschaften miteinander. Wenn sie dann getrennt werden, kommt es einem auf ein paar Wassergräben und Kiefernbüsche aber auch zerbrochene Räder nicht an."

Und nachher kam auch der Fahrer Karl, der sich nach den reifen Äpfeln umgetan hatte. Er selbst sagte nicht viel....

 

 

 

Das war die Kameradschaft der Schimmel.
Wie mir später erzählt wurde, sollen sie nach vielen Fahrten einmal Feuer bekommen haben und beide Schimmel wären dabei geblieben, die guten Tierkameraden.....

 

 

 

 

 

 

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