1. Weltkrieg
Aus "Tiere im Krieg"
'Den Tod im Sattel'
von Hans Diebow
Zwei Stunden lang hatte uns der Russe mit Gasgranaten belegt. Das Ergebnis war einfach lächerlich gewesen: ein Unterstand war auf einer Seite eingedrückt worden.
Mit
dreistündiger Verspätung konnte ich mich nun auf den Weg machen. Wenn man
Geburtstag hat und ein lieber Waffengefährte wartet eine gute Stunde Weges
entfernt in wohnlichem Blockhaus, hat vielleicht sogar zur Feier des Tages "eine
kaltgestellt", so wäre es töricht, im unbehaglichen Unterstand Trübsal zu
blasen.
So wartet ich denn auch gar nicht den Abbruch des russischen Artilleriefeuers
ab, sondern benutzte den Laufgraben und verliess, gedeckt durch dichtes Gehölz,
die Stellung in Richtung Waldlager.
Es war gegen drei Uhr nachmittags, als ich eine breite Schneise erreichte, die
mir nun den schnurgeraden Weg wies. Der Waldesduft macht mich ganz glücklich.
Einmal nur, als eine Spinne, die an langem Faden von einem Zweige herniederhing,
meine Mätze streifte, bleib ich stehen. Es war vergnüglich zu sehen, wie das
Tierchen an seinem selbstgesponnenen Klettertau geschwind empor hampelte.
Ein splitterndes
Krachen riss mich aus aller Beschaulichkeit. Hundert Meter vor mir musste eine
Granate in die Stämme gefahren sein. Und ehe ich wahrnehmen konnte, ob noch
weitere Überraschungen unterwegs waren, klang an mein Ohr der gedämpfte Takt
galoppierender Hufe.
Die Schneise entlang jagte ein Fuchs daher. Er trug keinen Reiter. Soviel konnte
ich jetzt schon sehen. Er musste sich beim Einschlag der Granate losgerissen
haben. Nun suchte er, wie vom Satan besessen, in Todesangst das Weite. Mit
rasender Geschwindigkeit kam er näher.
Da - auf zwanzig Schritt - sah ich mit Entsetzen, dass sein Kopf grässlich
verstümmelt war.
Vom Maul bis herauf zum Auge klaffte der ganze Schädel - ein einziger blutiger,
zerfetzter Torso und der Fuchs jagte, jagte, mit dieser grauenhafter Wunde
rasend vor Schmerz - an mir vorüber, zehn Meter, zwanzig Meter, dreissig Meter -
ich stand wie erstarrt, weiss nur noch, wie er, wohl geblendet, auf einen
kolossalen Baumstamm zusteuerte und mit aller Wucht dieses brausenden Galopps
und seinem ganzen Körpergewicht an dem massiven Hindernis Schädel und Halswirbel
zersplitterte. Dröhnend brach der entseelte Leib auf Wurzelwerk und Moos nieder.
Es kamen Männer
gelaufen, Fahrer oder Kavalleristen, ich weiss nicht mehr. Ich weiss auch nicht,
wie lange ich dann noch bis zum Waldlager zu gehen hatte. Sophus, der mich in
grösster Besorgnis erwartet hatte - 150 Gasgranaten auf meinem
Kompagnieabschnitt wollte er gezählt haben - war ausgelassen vor Freude, dass
ich heil geblieben sei. Wir haben wohl der Kaltgestellten noch den Hals
gebrochen - ich weiss es nicht mehr.
Ich weiss nur noch, dass ich nie mehr vergessen kann, wie lautlos, wie
unheimlich lautlos eigentlich diese grausige Vision am mir vorüberjagte, und ich
weiss, dass unter all dem Grauen, das mir in viereinhalb Kriegsjahren begegnete:
zerrissene Menschenleiber, klaffende Schädel, starrende Augen und vieles, vieles
andere, dies besonders hartnäckig haftet, weil es wie ein Ausschnitt aus den
Apokalyptischen Reitern Dürers oder Böcklins schreckhaftem "Krieg" immerfort
durch meine Vorstellung jagte, jagen muss, leibgewordenes Entsetzen, Leben auf
der Schwelle des Todes letzte, äusserste, gigantische Kräfte entfesselnd.....
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