1. Weltkrieg
Von ‘Liller Kriegszeitung - Die Sechste Auslese von 1918 Seite 116
'Die Tätigkeit der Tierschutzvereine hinter der Front'
(von Veterinär Dr. J.A.Hoffmann)
Die erste Kenntnis von der Sorge der deutschen Tierschutzvereine um das Los der Kriegspferde erhielten die Feldtruppen im Sommer 1914 noch während des Vormarsches durch das bekannte Flugblatt des Berliner Tierschutzvereins, in dem die deutschen Soldaten aufgefordert wurden, in allen Fällen, wo sie ein schwer oder unheilbar verletztes Pferd verlassen vorfanden, sofort den nächsten Offizier oder Veterinäroffizier zu benachrichtigen, damit dieser Hilfe bringe oder erforderlichenfalls den Leiden des Tieres durch Kopfschuss ein Ende mache.
Wenn auch zugegeben werden muss, dass die Vorstellungen, die man sich in der Heimat von der Notwendigkeit dieses an sich selbstverständlichen Ratschlages machte, zum Teil übertrieben, zum Teil irrig und falsch waren und dass in voreiliger und unüberlegter Befolgung des Aufrufes manches Pferd erschossen wurde, das bei sachgemässer Pflege leicht hätte gerettet werden können, so ist anderseits nicht zu verkennen, dass der kurz und packend gefasste Wortlaut des Flugblattes wohl geeignet war, die Aufmerksamkeit auch des einfachen und unberittenen Soldaten auf das Wohl und Wehe seiner vierbeinigen Kameraden, der treuen, stummen Helfer in diesem grossen Ringen, zu lenken.
Als der Bewegungskrieg in den Stellungskrieg übergegangen war, wurde der ganze Vorschlag des Flugblattes eigentlich gegenstandslos, denn nun setzte das praktische Militärveterinärwesen mit seiner geordneten und ordnenden Arbeit ein, allenthalben entstanden Krankensammelstellen und Lazarette für Pferde, jeder Veterinäroffizier erhielt einen bestimmten Dienstbezirk und jeder Ort einen Ortsveterinär zugewiesen usw., so dass Fälle, wie sie das Merkblatt annahm, zur Unmöglichkeit wurden.
Trotzdem aber Hessen es sich die Tierschutzvereine der Heimat — ihre Zahl beträgt in Deutschland zur Zeit 412 — angelegen sein, auch ihrerseits weiter ihr Scherflein dazu beizutragen, um das Dasein der Kriegspferde nach Möglichkeit zu erleichtern. Unter der Bezeichnung Liebesgaben für Pferde sammelten sie überall emsig Geld, kauften dafür Kräftigungsmittel, Arzneien, Verbandsstoffe, Ohrenschützer, Regendecken, Woilachs (grosse, wollene Pferdedecken), Fesselscheren, Putzzeug, Stallgeräte u. a. m. und schickten sie den Truppen, bisweilen, was noch klüger war, den Pferdelazaretten wagenweise ins Feld.
Später traten in den Kreis ihrer Schützlinge die Sanitätshunde, deren Zahl von acht bei Kriegsbeginn dank den fortgesetzten Bemühungen des deutschen Vereins für Sanitätshunde bis Ende 1916 sich bereits auf 2500 vermehrt hatte.
In letzter Zeit sind für den Bewegungskrieg
auch die Boten-, Erkundungs- und Vorpostenhunde sowie die Brieftauben
hinzugekommen. Freilich mussten die Liebessendungen mit der zunehmenden Länge
des Krieges und der grösseren Erschwerung des Wirtschaftslebens in der Heimat
nachlassen und schliesslich ganz aufhören.
Dafür aber drängten sich neue, nicht minder wichtige Aufgaben in den
Vordergrund. So sind seit Anfang 1917 die Tierschutzvereine Deutschlands eifrig
bemüht, für Heereszwecke Hunde ausfindig zu machen, die zum Sanitäts- und
Meldedienst geeignet erscheinen und nach kostenloser Ausbildung von der
Heeresverwaltung leihweise übernommen werden.
Vor allem verdienen Erwähnung und Lob die
von einigen deutschen Tierschutzvereinen im Inlande errichteten und
unterhaltenen Erholungsheime für Militärpferde in Kreischa und Thekla in
Sachsen, das Pferdeerholungsheim der Stadt Berlin in Falkenberg und die Anstalt
für kranke, verwundete und erschöpfte Sanitätshunde in Lichtenhain bei Jena.
Auf ähnlichen Bahnen, bewegt sich die Tätigkeit der 40 Tierschutzvereine in
Österreich und der 42 selbständigen Vereine in Ungarn für die Pferde und Hunde
ihrer Heere.
Lehrreich ist es, zu einem Vergleich die
Leistungen der Tierschutzvereine in England und Frankreich heranzuziehen. Was in
Deutschland und Österreich-Ungarn die selbständigen Tierschutzvereine tun, ist
dort Aufgabe zweier besonders zu diesem Zweck gegründeter Vereinigungen, des
Blauen und des Violetten Kreuzes. Beide Gesellschaften wurden mit lebhafter
Unterstützung Londoner und Pariser höchster Kreise im Spätherbst 1914 in
England, dem Lande der Tierzucht und des Tierschutzes, ins Leben gerufen, das
Blaue Kreuz von Lady Smith Dorrien und das Violette Kreuz von Miss
Lind-af-Hageby.
Anstoss gab die bei Kriegsausbruch höchst
mangelhafte Einrichtung des französischen Veterinärwesens, die u. a. Schuld
daran trug, dass nach der Mameschlacht die verwundeten Pferde bei den Franzosen
hilflos oft eine Woche lang auf den Schlachtfeldern umherirrten, bis sich jemand
ihrer annahm.
Bald nach ihrer Gründung siedelten das Blaue und das Violette Kreuz nach
Frankreich über, wo sie, zuerst hinter der englischen, später auch der
französischen Front grosse Pferdelazarette für je 200 bis 500 Pferde schufen.
Die französische Heeresverwaltung kam den Bestrebungen dieser beiden
Schutzgesellschaften umso bereitwilliger entgegen, als sie bis zum 1. Juli 1915
nicht weniger als 60 v. H. ihres Gesamtpferdebestandes oder 1 Million
Militärpferde verloren hatte.
Im Kampfgebiet sorgt die englische und französische Veterinärverwaltung für ihre Pferde selbst, und dass es zum Beispiel mit dem englischen Veterinärwesen nicht schlecht bestellt sein kann, dafür spricht die Zahl von 700 Veterinärsoffizieren und 8000 Mann Veterinärhilfspersonal, die sich Pressenachrichten zufolge 1916 beim englischen Heere befanden.
Das Blaue wie das Violette Kreuz sind rein
private Einrichtungen, die sich keiner Unterstützung mit Geldmitteln seitens
ihrer Regierungen erfreuen, nur ist ihnen für ihre Pferdeausrüstungsgegenstände,
Heilmittel, Werkzeuge, Verpflegungsmittel usw. Freiheit von Zollabgaben und
kostenlose Beförderung mit Schiff und Bahn zugestanden worden. Die Dienste
selbst, die sie den verwundeten und erkrankten Pferden leisten, sind kostenfrei.
Die Ausgaben werden einzig und allein von freiwilligen Gaben bestritten, die
nicht nur in England und Frankreich gesammelt werden, sondern auch in anderen
Staaten und Ländern, so z. B. seit Dezember 1914 auch in Amerika.
Mittlerweile haben auch die Kriegsministerien dieser Staaten die Hilfe beider
Tierschutzgesellschaften für ihre eigenen Zwecke in Anspruch zu nehmen gewusst.
So ist beispielsweise bekannt geworden, dass die französische Militärverwaltung
sich wiederholt die ihr fehlenden Veterinärinstrumente durch Vermittlung des
Violetten Kreuzes aus England und Amerika beschaffen liess, weil vor dem Kriege
in Frankreich hauptsächlich deutsche Instrumente im Gebrauch waren, die man dort
begreiflicher Weise jetzt ausserstande ist, zu ergänzen, auszubessern oder in
gleicher Güte nachzumachen.
Zum Schluss noch einen Hinweis auf den
sogenannten internationalen Roten Stern.
Unter dieser Bezeichnung hat zu Weihnachten 1914 der Genfer Tierschutzverein in
Genf an derselben Stelle, wo 51 Jahre vorher das Rote Kreuz gegründet wurde,
eine diesem internationalen Schutzbunde für verwundete Soldaten entsprechende
Vereinigung zum Schutze der Tiere auf dem Schlachtfelde zu bilden versucht.
Das Ganze ist, wie angedeutet, nur ein Versuch geblieben, dem praktische
Bedeutung für diesen Weltkrieg noch nicht zukommt. Das liegt einmal daran, dass
es stets sehr schwer, ja unmöglich sein wird, derartige internationale
Vereinbarungen während eines Krieges ins Leben zu rufen, in dem viel ältere wie
zum Beispiel das Rote Kreuz von gewissen kriegführenden Staaten fortwährend
umgangen, verletzt und zu Kriegshandlungen missbraucht werden.
Ausserdem hat der Genfer Rote Stern, dessen Vorsitzender Lassieur, ein Schweizer
Franzose, ist, bis jetzt einen so unklaren und eng abgesteckten Arbeitsplan
entwickelt, dass es vorerst noch zweifelhaft erscheint, ob zu seiner
Verwirklichung, die im deutschen und österreichisch-ungarischen Heere ohne sein
Zutun längst erreicht ist, die immerhin verwickelte und kostspielige Einrichtung
einer internationalen Vereinigung mit ständigem Ausschuss, Jahresbeiträgen,
Versammlungen, Zeitschriften usw. eine unbedingte Notwendigkeit darstellt.
Jedenfalls haben in klarer Erkenntnis dieser Gesichtspunkte und in Anbetracht
der Tatsache, dass seitens des Blauen und Violetten Kreuzes, die dem Roten Stern
sich sofort angeschlossen haben, mit dem Tierschutz zu Kriegszwecken wiederholt
ein ganz offenbarer Missbrauch getrieben und dadurch die Neutralität des ganzen
Bundes arg in Verdacht und Zweifel gebracht worden ist, die deutschen und
übrigens auch die russischen Tierschutzvereine mit Recht den lockenden
Werberufen aus Genf ihr Ohr verschlossen.
Zwar hat inzwischen die österreichische
Militärverwaltung im Frühjahr 1917 das Genfer Abzeichen in Gestalt eines wenn
auch dunkelbraunen Sternes auf den weissen Armbinden des Veterinär- und
Hufbeschlagmeisterhilfspersonals sowie auf den Signalfahnen der Pferdespitäler
zur Kenntlichmachung nach aussen hin eingeführt, trotzdem ist es noch recht
fraglich, ob das Deutsche Reich seinem Bundesgenossen auf diesem Gebiete folgen
und der Genfer Rote Stern nach dem Kriege durch eine völkerrechtliche
Übereinkunft aller Staaten der Welt als internationale Einrichtung anerkannt
werden wird.
Überhaupt steht einer Neutralisierung des gesamten Veterinärdienstes die alte
juristische Auffassung entgegen, die im Tier gewohnheitsmässig mehr oder weniger
ausschliesslich eine Sache, einen Wertgegenstand, als ein Lebewesen erblickt.
Vorderhand ist daher auf dem Gebiete des Tierschutzes jeder Staat auf seine eigenen Kräfte und die Mitwirkung seiner Landestierschutzvereine angewiesen.
Je höher ein Volk steht, desto mehr wird es
für seine im Felde stehenden Kriegstiere sorgen, und nach wie vor besteht der
schöne Ausspruch Berthold Auerbachs zu Recht:
„Der untrügliche Gradmesser für die Herzensbildung eines Volkes und eines
Menschen ist, wie sie die Tiere betrachten und behandeln."
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